Zwei Betroffene erzählen von Kinderarmut
Mit den anderen mithalten, das hat nicht funktioniert. Der Ehrgeiz es doch zu tun, hat Gianluca Cervone zweimal ins Gefängnis gebracht. "Geld war immer mein Ziel", erzählte der 24-Jährige bei einer Podiumsdiskussion über Kinderarmut im Scala.
Den Tick mit den Markenklamotten hat er immer noch. "Ich brauche das, um nicht arm zu wirken", sagte der 24-Jährige, der derzeit eine Ausbildung zum Altenpfleger absolviert, im Interview mit der Moderatorin Dorothée Frei-Stahl. Seine Geschichte erwies sich als Blaupause für viele andere. Geld war immer knapp.
Als die Mutter einen neuen Mann heiratete und mit ihm weitere Kinder bekam, spürte er, dass hier kein Platz mehr für ihn war. "Mit 16 Jahren bin ich dann zur Oma gezogen", erzählte er. Eine typisch italienische Oma, die ihn über alles liebte. Auch wenn er immer mehr Probleme machte und dann noch ein zweifelhaftes Vorbild hatte. Seinen schwer kriminellen Onkel und dessen Freunde. "Die fand ich cool, ich bin da reingerutscht", erzählt der 24-Jährige.
Als er zum zweiten Mal aus dem Knast entlassen wurde, entschied er, sein Leben zu ändern. Sein Glaube an Jesus sei seine Rettung gewesen. Und der Fußball, der ihm über depressive Phasen hinweghalf. Und dann noch die Musik. Als Rapper Gyan gehört er zur Community Lubu Beatz. Auch an dem Abend im Scala machte er seine Sehnsüchte mit einem Song, der unter die Haut ging, spürbar.
"Ich brauche Markenklamotten, um nicht arm zu wirken."
Gianluca Cervone, 24 Jahre alt
"Die Politik nennt die Herausforderungen unserer Zeit, aber von Kinderarmut spricht kein Mensch."
Marc Dressel, Caritas
Stabilität hat auch Carmen Gauger gefunden, die nach schwierigen Jahren des Aufwachsens bei der Mutter und nach einer gescheiterten Ehe jetzt mit ihrem Vater und ihren beiden Söhnen im gemeinsamen Haus lebt und dafür kämpft, dass das Thema Kinderarmut enttabuisiert wird. "Wir müssen Rahmenbedingungen für mehr Chancengleichheit schaffen", forderte sie und die Beteiligten der Podiumsdiskussion pflichteten ihr bei.
Marc Dressel von der Caritas Ludwigsburg-Waiblingen-Enz hielt mit seiner Einschätzung nicht hinter dem Berg. "Die Politik nennt die Herausforderungen unserer Zeit, aber von Kinderarmut spricht kein Mensch", machte Dressel seinem Unmut Luft. "Ich lasse den Staat da nicht aus der Verantwortung", unterstrich er. Seine Kritik galt vor allem auch den komplizierten Strukturen, die nicht nur Betroffene, sondern auch die Einrichtungen, die helfen wollen, überfordern.
Carola Benker, die Leiterin der Diakonischen Bezirksstelle in Ditzingen, stimmte Dressel zu. "Wir sind selbst auf Experten angewiesen, um Menschen helfen zu können", so Benker. "Es fehlt an Informationen für Eltern", ergänzte die Erste Bürgermeisterin der Stadt Ludwigsburg, Renate Schmetz. Sie forderte von der neuen Bundesregierung, sich mehr auf die Armutsbekämpfung zu fokussieren. Schmetz schlug überdies eine grundlegende Reform aller Sozialsysteme vor, um sich nicht mehr im Dickicht möglicher Unterstützungen zu verlieren.
So waren die Wünsche von Carmen Gauger und Gianluca Cervone auch eher bescheidener Natur: Zuhören und Verständnis haben. So wie einst eine Lehrerin von Gianluca Cervone, die ihm die Abschlussklassenfahrt nach Berlin ermöglichte. Das geschah unbürokratisch und ohne viel Aufhebens.